Barrierefreiheit als Netzwerk umsetzen: das Praxisbeispiel IHK24

Webauftritte von Unternehmensnetzwerken oder Franchise-Systemen haben häufig ein einheitliches Branding und eine gemeinsame technische Infrastruktur. Für die Umsetzung von Barrierefreiheit hat eine solche Ausgangssituation große Vorteile: Viele wichtige Barrierefreiheits-Anforderungen können so an zentraler Stelle umgesetzt werden. Der Aufwand der Netzwerk-Partner vor Ort reduziert sich dadurch erheblich.

Mit dem IHK24 e.V., einem Netzwerk von bundesweit 56 Industrie- und Handelskammern, erproben wir ein solches kostengünstiges Verfahren zur Umsetzung von Barrierefreiheit. Benjamin Damm (Geschäftsführer des IHK24 e.V.) und Heike Clauss (Projektleitung BIK für Alle) erläutern den Umsetzungsprozess.

Wann kam die Idee auf, sich um Barrierefreiheit zu kümmern?

Damm: IHK24 steht für ein Netzwerk von mittlerweile 56 IHKs aus allen Regionen Deutschlands, die ihre Kräfte in der digitalen Welt bündeln. Der Verbund setzt sich für einen modernen und kundenorientierten Webauftritt ein und nutzt dabei eine erstklassige technische Infrastruktur. Wir profitieren von der Stärke der Gemeinschaft im Allgemeinen sowie von regelmäßigen Weiterentwicklungen im Speziellen. Eines unserer zentralen Projekte ist die Neugestaltung und Weiterentwicklung der Internetseiten unserer Netzwerkpartner. Barrierefreiheit war dabei von Anfang an wichtig. Ziel ist, die Kriterien der deutschen Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, der BITV, zu erfüllen. Und das wollen wir möglichst auch mit einer BITV-Test-Zertifizierung nach außen sichtbar machen.

Wie funktioniert der neue IHK24-Auftritt?

Damm: Wir haben eine Art Baukastensystem mit verschiedenen Seitentypen und Modulen, die je nach Bedarf zum Einsatz kommen können. Die Webauftritte aller IHK24-Kammern basieren damit grundsätzlich auf derselben technischen Infrastruktur und treten bewusst mit einem gemeinsamen Look, einem einheitlichen Layout auf.

Screenshots von drei IHK-Websites, alle im gleichen Design

Ob Hamburg, Aachen oder Fulda - die Internetauftritte der IHK24-Kammern basieren auf derselben Infrastruktur und haben ein einheitliches Design.

Clauss: Durch diese Ausgangssituation hat das Netzwerk den Vorteil, rund zwei Drittel der Barrierefreiheits-Anforderungen der BITV zentral umsetzen zu können. Das betrifft das Design – hier spielen Kriterien wie gute Kontraste oder eine sichtbare Fokushervorhebung eine Rolle – und die barrierefreie technische Umsetzung. Der technische Dienstleister muss hier zum Beispiel an die Tastaturbedienbarkeit, Skalierbarkeit usw. denken.
Für die IHK24-Kammer vor Ort reduziert sich dadurch der Aufwand erheblich. Nutzt sie die zur Verfügung gestellten barrierefreien Module, ist das Gerüst des Webauftritts zugänglich und die Online-Redaktionen können sich voll und ganz auf die barrierefreie Pflege der Webinhalte konzentrieren.

Was müssen die Online-Redakteure denn beachten?

Damm: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der IHK24-Kammern vor Ort pflegen über das gemeinsame Redaktionssystem Webinhalte wie Texte, Videos oder Grafiken ein. Auch dabei müssen Barrierefreiheits-Kriterien beachtet werden, allerdings nur noch rund eine Handvoll. Zum Beispiel müssen für Grafiken Alternativtexte hinterlegt, Überschriften und andere Text-Elemente korrekt ausgezeichnet und Videos untertitelt werden. Doch auch wenn die Zahl der Barrierefreiheits-Anforderungen reduziert ist, bedeutet das durch die Masse der Inhalte natürlich trotzdem eine Menge Arbeit.

Clauss: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu informieren, die Inhalte einpflegen, ist in einem Netzwerk eine echte Aufgabe: Beim IHK24 haben wir im ersten Schritt die verantwortlichen Projektleiter der IHK24-Kammern informiert. Flankierend haben wir einen Leitfaden für Online-Redakteure entwickelt, den der IHK24 in seine Kurzanleitung integriert hat. Neue Redakteure werden so bereits von Beginn an auf notwendige Anpassungen hingewiesen.

Und wie läuft es mit der Zertifizierung durch den BITV-Test?

Damm: Wir wollen allen IHK24-Mitgliedern die Möglichkeit einer Zertifizierung mit dem BITV-Test anbieten. Und ähnlich wie der Umsetzungsprozess, ist auch die Möglichkeit der Zertifizierung vereinfacht und dadurch für die einzelne Kammer kostengünstiger. Da zwei Drittel der Barrierefreiheits-Anforderungen über das zentrale Zertifizierungsverfahren abgedeckt sind, muss die Kammer vor Ort am Ende nicht mehr den gesamten BITV-Test durchführen. Um ein Prüfsiegel zu erlangen, muss sie nur noch die Prüfschritte bestehen, die die redaktionellen Inhalte betreffen.

Wie läuft der Umsetzungsprozess?

Damm: Der Prozess verläuft über mehrere Stufen: Barrierefreiheit war ja mit unserer Agentur vertraglich vereinbart. Sie hatte bereits entwicklungsbegleitend die BITV-Selbstbewertung durchgeführt, um die eigene Qualität zu überprüfen. Das war die Stufe Nummer eins. Als das Projekt bereits recht fortgeschritten war, haben wir alle relevanten Vorlagen und Module durch eine Barrierefreiheits-Expertin des Prüfverbunds testen lassen. Auf dieser Stufe zeigte sich, dass die Selbsteinschätzung unserer Agentur zu optimistisch war: Obwohl die Expertin dieselben Prüfschritte nutzte, beförderte der entwicklungsbegleitende Expertentest noch einige Barrieren zutage.
Im Moment bereiten wir uns auf den abschließenden, den zertifizierenden Expertentest vor, indem wir entsprechend des Prüfberichts optimieren: Technisch übernimmt das unser externer Dienstleister. Zur Sicherheit sind für einzelne Module Nachtests geplant. Was die redaktionellen Inhalte betrifft, muss ja jede IHK24-Kammer aktiv werden. Ist das geschafft können wir die letzte Stufe nehmen: Den zentralen Zertifizierungstest und – ist dieser erfolgreich – die „abgespeckten“ BITV-Tests der interessierten Kammern.

Was können andere von Ihnen lernen?

  • Die Umsetzung als Netzwerk anzugehen ist grundsätzlich positiv, denn man kann den Aufwand für seine Mitglieder reduzieren. Auch hier gilt: Je höher der Grad an Standardisierung ist, desto einfacher, schneller und kostengünstiger erfolgt die Realisierung.
  • Es ist sinnvoll, Barrierefreiheit umzusetzen, wenn eine Neugestaltung ansteht. Die Anforderungen, die das beauftragte Projekt erfüllen soll, sollten dringend in der Ausschreibung konkret genannt werden, z. B. Barrierefreiheit gemäß BITV - Priorität I. Noch sicherer wäre, das Bestehen eines Expertentests zu vereinbaren.
  • Bei komplexen Webangeboten ist die Einbindung von Experten maßgeblich für die Qualität des Ergebnisses: Das bedeutet, suchen Sie sich entweder eine in barrierefreiem Webdesign hochspezialisierte Agentur oder binden Sie von Anfang an die Expertise von Barrierefreiheits-Fachleuten ein. Unterm Strich spart das Kosten!
  • Wenn – wie bei unserem Netzwerk – mehrere 1.000 Personen redaktionelle Inhalte einpflegen, ist es wichtig, im CMS gute Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Barrierefreiheit Berücksichtigung findet und Umsetzungstipps im Styleguide zu verankern.